„Gehst du mit mir zum Naschautomaten?“ – Warum es nicht schlimm ist alleine zu sein

Die Frage „Gehst du mit mir zum Naschautomaten?“ verdeutlich heruntergebrochen vieles, was ich bei gruppendynamischen Ereignissen und Gepflogenheiten noch nie begreifen konnte.
Der Aufenthats- bzw. Pausenraum unseres Gymnasiums war rund gestaltet, wohl kein perfekter Kreis, aber doch sehr rund. In diesem Rondell waren an den Seiten Bänke, im hinteren Bereich der Pausenverkauf, daneben Tische und Stühle für Hausaufgabenmacher und Lerner, daneben der Aufgang zum Treppenhaus und wiederum daneben der Heilige Gral: DER NASCHAUTOMAT. Oder Süßigkeitenautomat, wie auch immer man das nennen möchte. Bei uns war das schlicht der „Naschautomat“. Es war eine Großartige Maschine gefüllt mit Gummibärchen, Schokoriegeln und… Ja, ne, das wars größtenteils. Manchmal gab es auch Kaubobon. Der Automat wurde oft frequentiert, nicht nur von jüngeren Schülern, sondern auch von Oberstüflern. Finanziell gesehen machte man natürlich nie ein Schnäppchen, aber was tut man nicht alles, um sich mit einer gehörigen Dosis Zucker für die nächste Doppelstunde Mathe/Latein/Chemie/Pysik (bin ich froh, dass meine Schulzeit vorbei ist…) zu tanken.
Wenn man dann also in diesem miefigen und meist lauten Pausenraum stand, weil es draußen entweder zu nass, oder zu kalt war, kam hin und wieder die Frage in die Runde: „Gehst du mit mir zum Naschautomaten?“ 
Wenn man sich noch einmal die architektonische Bauweise vorstellt, der mehr oder minder ein Kreis war, dann kann man sich denken, dass man nie sonderlich viel zu laufen hat, selbst wenn man am gegenüberliegenden „Ende“ (alle Mathematiker schlagen mich jetzt) des Kreise („Was, das andere Ende eines Kreises, was soll denn das sein?!“) steht, hatte man es bis zum besagten Automaten nicht weit. Der Durchmesser betrug wahrscheinlich 20 Meter, vielleicht auch ein paar Meter mehr. Aber nicht viele Meter. Selbst wenn wir 3 Schritte vom Naschautomaten entfernt waren, wurde jemand aus der Runde gefragt: „Gehst du mit mir zum Naschautomaten?“
Was denkst du, was passieren könnte? Hast du Angst, dass du von einem Fünftklässkler beim Fangenspielen unfair zu Boden geworfen wirst und nicht mehr alleine aufstehen kannst? Befürchtest du, dass dich der Süßigkeitenautomat auffrisst, weil er auf Menschenfleisch steht? Oder, vielleicht bist du dir nicht sicher, ob du der schwierigen Aufgabe gewachsen bist, Geld in einen Münzschlitz zu werfen und auf zwei Tasten zu drücken. Man weiß es nicht…
Ich habe das nie verstanden, warum kann man sich nicht einfach aus dem Kreis bewegen, sagen, dass man sich kurz was Süßes holt und wieder zurücklaufen? Warum braucht man dabei eine Begleitung? Warum? Man stirbt nicht, wnen man Mal eine Minute alleine ist. Nein, vielleicht ist das doch ganz gut. Wenn du einen Schokoriegel willst, deine Süßigkeitenbegleitung aber gehofft hat, dass du Gummibärchen kaufst, weil sie dir die Hälfte wegessen will, dann darfst du dreimal raten, was du kaufst. Richtig, du wirst dich bequatschen lassen und eine überteuerte Minitüte Gummibärchen kaufen. Glückwunsch, gut gemacht.

Rückblickend gab es auch immer in der Mittagspause vor dem Nachmittagsunterricht die gleiche bescheuerte Situation, der ich heutzutage leicht aus dem Weg gehen würde. Wir hatten zwischen dem normalen und dem Unterricht am Nachmittag eine Stunde Pause. In dieser Stunde sind wir immer ins Zentrum gelaufen, was ein Fußmarsch von ca. 5 Minuten war. Kommt natürlich drauf an, wo man hin wollte. Wenn man gebratene Nudeln vom Asiaten wollte, musste man eher mit 10 Minuten rechnen, weil der Weg etwas weiter war. Eine Kleinigkeit vom Bäcker bekam man auch schon in 4 Minuten, wenn man superduper schnell war. Wir, als Clique, haben also unsere Rücksäcke nach dem Unterricht verstaut, um nicht mit dem schweren Ding durch die Gegend laufen zu müssen, und sind Richtung Zentrum gepilgert. Dort angekommen fand dann die Diskussion statt:
Person 1: „Was wollt ihr denn essen?“
Person 2: „Och, ich weiß nicht… worauf habt ihr so Lust?“
Person 3: „Vielleicht Pizza?“
Person 4: „Pizza hatte ich erst…“
Person 2: „Vielleicht geh ich zum Bäcker.“
Person 1: „Hmm…joar, ich geh Mal mit.“
Person 3: „Hmm…okay.“
Person 4: „Joar…“
Es endete meistens damit, dass wir zum Bäcker gingen, dort aber doch niemand was kaufen wollten, wir zum Pizzaverkauf Nr.1 und Nr.2 gingen, damit dort eine was kauft, um dann zum Asiaten Nr. 1, manchmal auch Asiaten Nr.2. zu schlurfen, damit dort die anderen zwei etwas zu essen bekommen, um dann nochmal zu Bäcker Nr.1, manchmal Bäcker Nr.2, hin und wieder auch noch zu Bäcker Nr.3 zu hasten (man muss ja das Angebot checken), bis die letze sich doch Pizza holt.
Alles endete damit, dass wir unser Essen schnell im Laufschritt herunterschlingen mussten, weil wir nur noch 7 Minuten Zeit, bis wir wieder gesittet im Unterricht saßen.

Anstatt, dass wir uns einfach von Beginn an aufgeteilt hätten, um dann zu einer verabredeten Zeit an einem verabredeten Ort in der Schule zu sein, um dort in Ruhe zu essen und bisschen Pause zu machen, bevor man mit weiterem Lehrstoff gequält wird, mussten wir „das Erlebnis des Essensuchens“ als Gruppe erledigen. Was keinerlei Erleichterung mit sich gebracht hat, sondern einfach nur unnötige Komplikationen. Mittlerweile hasse ich es Essen im Laufen essen zu müssen. Man setzt sich hin, wenn man isst. Von mir aus hat man auch einen Stehtisch, auch okay. Aber bei Schnee oder Regen, vielleicht noch mit heftigen Gegendwind, im Laufschritt eine Mahlzeit einzunehmen, die nach einer Minute sofort kalt wird aufgrund des Wetters, ist kein Spaß und absolut unnötig.
Glücklicherweise war ich während meines Studiums klüger gewesen.
Schwubbs alleine aus der Vorlesung raus und schwubbs ins Café gesetzt. Schön lecker Kaffee, schön lecker Fladenbrot, schön lecker bequemer warmer Platz – herrlich!
In einem Semester musste ich sogar einmal in der Woche 3 Stunden auf die nächste Univeranstaltung warten, weil es sich nicht rentiert hat nach Hause zu fahren. Und wisst ihr was? Ich hab das überlegt 3 Stunden lang alleine zu sein. Es war großartig. Man bekommt alles erledigt, was man so an Besorgungen erledigen wollte und kann in Ruhe essen. Manchmal, wenn sie Zeit hatte, habe ich mich dann aber trotzdem sehr gerne für eine Stunde mit meiner Mutter getroffen, wenn sie ebenfalls Mittagspause hatte.
Aber das ist immer sehr entspannt. Kein nerviges diskutieren, wohin man geht, was man will, ob man dahin gehen möchte und so weiter und so fort.

Irgendwie bin ich seit dem Beenden meiner Schullaufbahn sehr geschädigt, was Diskussionen angeht…
Vor allem, sinnlose Diskussionen…
Was mich an diese Gruppenarbeiten erinnert, bei denen 10 Minuten lang darüber gestritten wurde, wie man denn die Überschrift des Plakat unterstreichen solle. Mit Farbe, oder doch lieber in Schwarz, dafür aber doppelt? Das Trauma… das Trauma ist wieder da!!!

 

Warum hat man das Bedürfnis vieles mit einer Gruppe zu erledigen, wenn man alleine doch viel schneller und effizienter wäre?
Ich hab nichts gegen anderen Menschen, ich habe nichts gegen Gesellschaft, aber es muss eben nicht immer sein.
Ich bin mit mir als stillen Gesprächspartner sehr zufrieden, ich finde meine Gegenwart für mich selbst sehr angenehm.
Wenn man alleine ist spart man sich oft Zeit und kann wirklich einfach Mal entspannen. Das ist jetzt kein Aufruf immer und überall Menschen zu scheuen, aber man sollte auch einmal etwas alleine wagen.
Und das scheint kein Teenager-Ding zu sein, dass man immer eine Gruppe, oder eben eine Bezugsperson braucht, um etwas zu machen. Bei meinen Eltern scheint es auf der Arbeit normal zu sein, dass man sich für jede Mittagspause, jeder Fortbildung, jeden Infomarkt etc. abbspricht, wer wann dorthin geht, damit man nur nicht Mal eine halbe Stunde mit sich selbst verbringen muss. Meine Güte, das wäre auch zu tragisch!
Also… ich versteh das einfach nicht.
Vielleicht verstehen auch einige meinen Standpunkt nicht, kann gut sein.
Aber hey, ehrlich, ihr schafft das wirklich alleine zum Naschautomaten. Glaubt mir.